Ich erinnere mich an meine Uroma, als wäre es erst gestern gewesen. Vor Jahren sprach ich mal mit meiner Mutter über die Erinnerung an Oma Klara, so hieß sie. Sie war eine Uroma, wie aus einem Bilderbuch: korbulent, weiße Haare zu einem Dutt gebunden, mit einer Schürze.
Ihre Küche war mit der typischen Mustertapete ausgestattet und an ihrem Kühlschrank waren Magnetfiguren, mit denen ich unbedingt spielen wollte, aber meine Sprachkünste ließen damals, 1986, noch zu wünschen übrig. Das hat mich damals total aufgeregt. Meine Mutter trug mich auf dem Arm und ich war gerademal 50 cm von den Magnetfiguren entfernt.
Irgendwann bekam ich dann doch noch die Gelegenheit endlich diese Figuren zu behandeln.
Von dieser Szene gibt es keine Aufnahmen und niemand hat mir jemals davon erzählt. Ich war damals 1,5 Jahre alt. Und dies ist eine von vielen Erinnerungen an meine Kindheit.
Ich bin die älteste Cousine von 13 Cousins und Cousinen.
Ich war ein Wunschkind. Meine Eltern haben sich riesig über mich gefreut und die ganze Familie war hellauf begeistert von meiner Ankunft. Damals wohnten wir in einer Erdgeschosswohnung unter Oma und Opa. Die anderen Großeltern wohnten nicht weit entfernt, am Fluss.
Als Kind konnte ich zu Fuß alle meine Großeltern und meine Lieblingstanten erreichen. Oft gab es nachmittags Spontanbesuche von den Großeltern oder Tanten. Und das war immer toll!
Unser Haus und Hof war ein Treffpunkt von Verwandtschaft und Nachbarschaft. Und wir waren immer umgeben von Blumen, die meine Mutter liebevoll setzte und pflegte. Meine Mutter hat einen grünen Daumen und im Sommer war es bunt bei uns.

Es war eine verdammt schöne Zeit.
Damals war meine Oma Altenpflegerin und sie hatte Aufträge, die Leute bei sich zu Hause zu pflegen. Meine Mutter hat sie zu ihren Aufträgen gefahren, weil sie selbst nicht Auto fahren konnte. Klaro, dass ich dabei war.
So habe ich schon mit 7,8,9 Jahren den Pflegeberuf kennen gelernt.
Einmal waren wir bei einer sehr alten Frau. Mama und Oma haben mir gesagt, dass ich auf sie aufpassen muss und dass sie mich immer das Selbe fragen wird, aber ich solle ihr immer fein Antwort geben. Egal, wie oft sie fragen wird.
Ich wusste, dass sich meine Oma und meine Mutter auf mich verlassen und ich war entschlossen mein Bestes zu tun.
Ich saß eine gefühlte Ewigkeit mit dieser Frau in ihrer Küche und sie fragte mich tatsächlich durchweg das Gleiche und ich antwortete immer. Bis Mama und Oma kamen und fertig mit ihrer Arbeit waren.
Damals fuhr meine Mama ein VW Golf Caprio von Omas Nachbarin. Wir fuhren mit offenem Verdeck, es war Sommer, zu Dritt nach Hause. Drei Generationen in einem Auto sitzend. Ich fühlte mich frei, geliebt und geborgen.
Niemals hätte ich damals gedacht, dass diese Erinnerungen einmal mein Leben retten würden.

Ich wünsche mir, dass wir alle die Möglichkeit haben, solche Erfahrungen zu machen. In der Pflege heute ist vieles schon von vorneherein ein Menschen unwürdiger Zustand.
Eines ist sicher: bevor ich in so eine Pflegeeinrichtung gehen muss, werde ich mir lieber die Kugel geben.
Kein Pflegeberuf kann ein Generationenhaus ersetzen
Seperation ist die Wirkung, die uns heute unser System, der Frickelteppich, beschert.
Wenn wir eine Reform wollen, müssen wir tiefer gehen und unseren Blick weiter öffnen. Nichts ist stabiler, menschenwürdiger, liebevoller, als ein Bauernhof oder als eine 10.000 Einwohnerstadt, wo Generationen sich treffen können, wo Kinder zu Fuß ihre Omas besuchen können. Wo man an einem Nachmittag mal spontan eine Nachbarin besuchen kann.
Wenn wir so weitermachen, wie bisher, werden wir bald vollends nur noch funktionieren. Funktionieren bei Einwurf kleiner Münzen. Allerdings wird das auch gleichzeitig unser Untergang werden. Denn wir werden mehr psychisch Kranke haben. Jeder wird depressiv und es werden sich mehr Menschen demnach umbringen.
Wir müssen uns eingestehen, dass wir in den letzten Jahrzehnten Geister riefen, die uns nun umtreiben.
Eine Reform der Pflege erreichen wir nicht mit „Geldfluss verändern“
Es braucht viel mehr. Wir müssen unser Zusammenleben hinterfragen.
Wir müssen uns unsere Lebensweise zurück holen, die uns glücklich gemacht hat

